Ortsspaziergang

Charme offenbart sich auf den zweiten Blick
ORTSSPAZIERGANG In Flein unterwegs auf historischen Pfaden - Traditionelle Weinbaugemeinde inmitten zauberhafter Natur

Bericht von Ulrike Kübelwirth, Heilbronner Stimme, 2. Juli 2020
Ulrike Kübelwirth ist Redakteurin im Ressort Leben und Freizeit der Heilbronner Stimme und hat bei der Aktion „50 Wochen – 50 Orte“ das Los für den Ortsspaziergang in Flein gezogen. Dahinter steckt die Idee, einen anderen Blick auf die Orte zu bekommen. Zuständig für Flein ist die Redakteurin Sabine Friedrich. 
Einfach der Platz: Der Kreisel, in dem heute Leihkunst von Guido Messer platziert ist, war früher zentraler Treffpunkt der Fleiner. Im Hintergrund das Gasthaus Lamm, ein schönes altes Gebäude, das jedoch in Kürze abgerissen werden soll.uer Text
Wiesen. Wälder, Weinberge – und ein sechseinhalb Kilometer langer Panoramawanderweg der  einen fantastischen Blick auf den Ort im Tal bietet: Flein. Die ländlich geprägte Gemeinde, die nur einen Steinwurf von Heilbronn entfernt ist, hat einiges zu bieten. Vor allem aber eine zauberhafte Landschaft. Das ist das Erste, was dem Besucher ins Auge sticht.
Drunten dann, im Tal, erschließt sich der Charme erst auf den zweiten Blick: Der Ort leidet unter der viel befahrenen Durchfahrtsstraße
- und unter Bausünden der 1970er Jahre wie dem ersten Ärztehaus, das die Fleiner fast schon liebevoll „Schwarzwaldklinik“ nennen. Wer sich den Schätzen Fleins nähern will, braucht Unterstützung. Am besten gepaart mit geschichtlichem Sachverstand. Den habe ich mir mit Horst Münzing und Peter Wanner geholt. Münzing ist Vorsitzender des Heimatvereins, Wanner Vorstandsmitglied und Historiker.
Heimatvereinsvorsitzender Horst Münzing (li.) und Historiker Peter Wanner vor den im Kirchhof platzierten historischen Grabsteinen alteingesessener Fleiner Familien.
 Fotos: Ulrike Kübelwirth
Vor dem Felsenhaus erinnert eine alte Weinpresse an
die Wengertertradition.
Liebenswert 
Die beiden, die mich auf einen historischen Ortsrundgang mitnehmen, stellen eines gleich klar. „Wir haben hier nicht die tollen alten Bauwerke, weil Flein nie reich und Wengerter.“ Dennoch sei Flein ein liebenswerter Wohnort mit funktionierendem Gemeinwesen, tollen Vereinen, einer guten Infrastruktur und persönlicher Ansprache. „Wer sich ein bisschen engagiert, der kriegt hier schnell Anschluss. Man kennt sich, und das ist schön"
Startpunkt für die Tour ist der Rathausplatz, dessen Mittelpunkt der Künstlerbrunnen von Hans Epple bildet – gefertigt aus „flins“, dem Felsen, der Flein – in seiner ersten Erwähnung „Flina“ genannt – seinen Namen gab. Gewidmet ist das dieser Tage trockengelegte Kunstwerk aus Nagelfluhfelsen dem Heiligen Sankt Veit. „Veit im  Häfele“, der auch das Ortswappen ziert.
Begrenzt wird der Platz, an dem sich früher ein Weiher befand, vom neuen Rathaus, der Kellergasse, die so heißt, weil sich ehemals die Fleiner Wengerter, die wegen des hohen Grundwasserspiegels keinen eigenen bauen konnten,  dort in extra groß gebauten Kellern Räume anmieten konnten und dem alten Rathaus, einem der wenigen Gebäude aus dem 16. Jahrhundert.
"Bis in  die 1960er Jahre stand da noch eine große Viehwage davor" weiß Wanner. Und Münzing errgänzt: „Da gab es noch viele Bauern im Ort. Das war, bevor alle Aussiedlerhöfe gebaut haben.“ 

Einfach nur Kunst
Gleich neben dem Brunnen das nächste Kunstwerk: Dort, wo einst das Milchhäusle stand, findet man heute die Köpfe von vier Herren. Alte Fleiner? „Nein“, sagt Historiker Peter Wanner, „einfach nur Kunst.“ Eine Leihgabe von Guido Messer. Ebenso wie die Figuren auf dem Verkehrskreisel, in Flein einfach „der Platz“. „Das war früher der Treffpunkt im Ort“,   „Da hat gefeiert, und zur Kerwe stand dort immer das Karussell.“ Rund um den Kreisel wird die Architektur von 1970er Jahre-Bauten bestimmt. Und das, obwohl Flein den Zweiten Weltkrieg fast ohne Zerstörung überstanden hat. Nur ein einziges Gebäude sticht ins Auge "Das schöne alte Gasthaus Lamm, aber das wird leider demnächst auch abgerissen", bedauert der Historiker.

Nagelfluhfelsen 
Weiter führt der Weg zum liebevoll eingerichteten Domizil des Heimatvereins im Felsenhaus, dessen Fassade und die Statik gerade saniert werden. Drinnen wird nicht nur die Geschichte des Bauern- und Wengerterdorfes sichtbar, sondern auch der Nagelfluhfelsen, der naturbelassen das Untergeschoss ziert. „Bearbeiten lässt der sich nicht.“
Vom Felsenhaus aus beginnt – vorbei am Pfarrhaus, das dort gebaut wurde, wo die alte Schule stand – der Aufstieg zur evangelischen St.-Veit-Kirche. „Die stammt zwar aus den 1840er Jahren und ist damit noch relativ jung, aber architektonisch interessant“, erklärt Peter Wanner. Weil nämlich der Platz zu knapp geworden war, hat man beim Bau im 19. Jahrhundert das Kirchenschiff gedreht, aber den ursprünglichen Turm aus dem 12. oder 13. Jahrhundert beibehalten. „Deshalb steht der auch nach Süden“, fügt der Historiker hinzu. „Flein war übrigens zutiefst evangelisch. Als Dorf der Reichsstadt Heilbronn ist es bereits in den 1530er Jahren reformiert worden.“ Erst als nach dem Zweiten Weltkrieg Heimatvertriebene kamen, wurde eine katholische Kirche gebaut. Im Kirchhof ein weiteres Zeugnis des engagierten Heimatvereins: Dort stehen alte Grabsteine – allesamt tragen die Inschriften alteingesessener Fleiner Familien
wie den Münzings. „Egal wo auf der Welt Sie einem Münzing begegnen, die Vorfahren stammen von hier“, erläutert der Namensvetter.
Romantische Fassadenbegrünung- als ob 
die Zeit stehen geblieben wäre
Blick auf die evangelische St.-VeitKirche und das neue Pfarrhaus.
Friedhof mit Ausblick 
Nächste Station: der Friedhof. „Wie behauptet wird, der teuerste in ganz Baden-Württemberg, weil für die Erweiterung Bauplätze geopfert wurden“, betont der Heimatvereinsvorsitzende. Von dort aus erschließt sich die Schönheit der Landschaft von Neuem – mit Blick auf die sonnigen Weinberglagen und auf das Wohngebiet Sommerhöhe, „auch Hypothekenbuckel genannt“. Entlang der ehemaligen mittelalterlichen Dorfbefestigung, die im 19. Jahrhundert eingeebnet wurde, („eine Stadtmauer hatten wir nicht. Das war ein Graben, also eher eine symbolische Befestigung“), führt der Weg erst bergab, dannwieder bergan zum Kornhaus aus dem Jahr 1595, neben dem Fischerhaus (1592) das älteste Gebäude im Ort. Dort reist Historiker Wanner ins Mittelalter zurück, als Flein ein armes Bauerndorf war. „Wir standen immer unter der Herrschaft der Heilbronner – seit 1385 gehörte Flein der Reichsstadt. Deren Bürger hatten auch hier Besitz – und viel mehr Rechte als die Fleiner.“ Zusammen mit Böckingen spielte das Dorf deshalb auch beim Bauernaufstand eine aktive Rolle. „Flein, Flein – du edler Fleck, Neckargartich liegt im Dreck, Frankebach im Blunzeloch und Böckinge, des geht grad noch“, zitiert Wanner in diesem Zusammenhang einen alten Spruch. Vorbei an der Schule, „die heute leider nur noch eine Grundschule ist. Alles andere haben wir eingebüßt“, weiß Münzing, der selbst Lehrer ist, führt der Weg zum alten evangelischen Gemeindehaus aus den 1920er Jahren. Bis zum Bau der Sandberghalle und der Flina diente es den Fleinern als Versammlungsort.
Engagierter Pfarrer 
„Dieses Gebäude haben wir Pfarrer Martin Maier zu verdanken“, erklärt Münzing. Der verbrachte zwar nur fünf Jahre im Ort, engagierte sich in dieser Zeit aber so großartig für das Gemeinwohl, dass er zum Ehrenbürger ernannt wurde – einer von insgesamt fünf. Auch am evangelischen Gemeindehaus trifft man wieder auf Kunst von Hans Epple, „der mit seinem unverkennbaren Stil Flein seinen Stempel aufgedrückt hat“, wie die beiden Experten für Heimatgeschichte im Einklang betonen. 

Heimatverbunden 
Die Torstraße runter („als hier gebaut wurde, fand man jede Menge Hufeisen. Die stammen aus dem 30-jährigen Krieg. Damals haben die Fleiner für Jahre ihr Dorf verlassen, um hinter den Mauern der Stadt Heilbronn Schutz vor den plündernden Soldaten zu suchen“) geht es zurück zum Rathausplatz. „Flein muss man in seiner ganzen Breite erleben“, sagen die beiden, deren Väter Gründungsmitglieder des Heimatvereins waren. „Es ist wirklich ein Ort mit hoher Lebensqualität“, geben mir Münzing und Wanner mit auf den Weg. Frei nachdem Motto: Flein kennen- und lieben lernen.
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